Inwieweit kann Vertical Farming dazu beitragen, eine Weltbevölkerung von bald acht Milliarden Menschen zu ernähren?
Vertical Farming allein löst das Problem sicher nicht, genauso wie es biologische Landwirtschaft allein nicht lösen wird, sondern es ist immer eine Kombination unterschiedlicher Ansätze. Der Idealweg wäre aus meiner Sicht regenerative Landwirtschaft kombiniert mit regenerativer Forstwirtschaft, kombiniert mit regenerativer Aquakultur und Vertical Farming. Damit könnten wir nachhaltig produzieren und hätten alles abgedeckt, alle Teller aller Menschen auf der Erde.
In welchem Bereich sehen Sie die größten Vorteile von Vertical Farming?
Vertical Farming macht am meisten Sinn für Produkte, die einen hohen Wasseranteil haben und normalerweise in einer geschlossenen Kühlkette lange Wege von A nach B zurücklegen müssen, also Salate, Kräuter, bestimmte Gemüsesorten, Beeren oder auch frische Microgreens und Pflanzen, die sich zum Aufgießen gesunder Tees und Infused Water eignen.
Kann die Menschheit auch gesättigt werden mithilfe von Vertical Farming?
Natürlich kann ich auch Kartoffeln oder Reis in einer Vertical Farm anbauen, aber es macht wirtschaftlich und aus energetischer Sicht heute noch keinen Sinn. Doch würden wir Menschen die Böden komplett zerstören und ginge es ums Überleben, könnten wir auch unsere Grundnahrungsmittel vertikal anbauen. Davon sind wir zum Glück noch etwas entfernt, aber nicht mehr allzu weit.
Wie weit?
Wir haben ein Zeitfenster von knapp zehn Jahren, um uns den Planetary Boundaries, also den Systemgrenzen der Erde zu widmen. Wenn wir dieses Zeitfenster nicht nutzen, wird das Problem nicht mehr sein, dass es zu sonnig ist, oder zu warm oder zu kalt. Sondern wir werden nicht mehr genug Lebensmittel anbauen können für die Menschen auf der Erde, weil wir zu wenig gesunde Böden haben. Und trotzdem kommt das Thema Böden in der Klimadiskussion immer noch viel zu kurz – denn intakte gesunde Böden binden CO2, wobei ausgelaugte Agrarflächen massive CO2-Produzenten sind.
Ist das der Punkt, an dem Sie mit Agrilution ansetzen?
Ich denke, das ist unser größter Hebel, dass wir mit Vertical Farming keinen negativen Impact auf die Böden und die Biodiversität in der Umwelt haben. Wir können in einem ersten Schritt schauen, dass wir weniger Schaden anrichten, indem wir überhaupt keinen Boden und keine Pestizide brauchen, um Lebensmittel anzubauen. Und im nächsten Schritt wollen wir unseren Beitrag dazu leisten die Natur dabei zu unterstützen, Böden aktiv zu regenerieren und wieder aufzubauen. Mit Kooperationen und eigenen Initiativen.
Was sehen Sie als Ihren größten Auftrag?
Wir wollen helfen, in der Gesellschaft einen Beitrag für gesunde Ernährung, aber auch ein Bewusstsein für Umwelt und Natur zu schaffen. Indem wir auf verschiedenen Ebenen sensibilisieren. Uns geht es darum, so viele Plantcubes oder Personal Vertical Farms wie möglich so nah wie möglich an den Ort des Konsums zu bringen, insbesondere in Ballungszentren wo Grünflächen, Gärten oder Balkone für den Eigenanbau Mangelware sind.
Planen Sie auch größere Farmen?
Derzeit nicht, wir konzentrieren uns weiter auf die kleinste Zelle. Unsere Plantcubes stehen in Privathaushalten sowie in den Küchen einiger bekannter Köche, und da sehen wir uns auch weiterhin. Und mit jedem Plantcube, der da draußen steht, erweitern wir unser Wissen über Pflanzen, die unter kontrollierten Bedingungen gewachsen sind und ihre bis zu 30 Mal höhere Dichte an gesunden Nährstoffen. Und diese Daten können wir dann wieder nutzen, um den Anbau noch effizienter zu machen.
Wie nachhaltig agiert das Unternehmen Agrilution?
Nachhaltiges Denken und Handeln ist die Basis unserer Unternehmenskultur. Der Mensch und die Natur stehen im Mittelpunkt aller Aktivitäten. Wir arbeiten stetig daran, Materialien und Prozesse nachhaltig zu gestalten und uns wo immer das möglich ist, kontinuierlich zu optimieren. Unsere Geräte sind beispielsweise so entwickelt, dass sie in alle Einzelteile zerlegt und so auch bei uns repariert werden können – oder seit Neuestem bieten wir unseren Kunden auf Wunsch besondere Konditionen mit einem Ökostromlieferanten. Nachhaltigkeit ist bei uns definitiv kein Schlagwort, sondern ein Thema, das wir als Prozess verstehen, bei dem wir permanent dazulernen und uns verbessern.
Wie sieht es mit der Klimaneutralität aus?
Ein großer Begriff in aller Munde. Wir lassen den Lebenszyklus unserer Produkte genau analysieren – von Rohmaterial, Herstellung, Logistik bis zur Nutzungsphase, reduzieren Emissionen und gleichen unsere derzeit noch nicht vermeidbaren durch Projekte aus. Damit sind wir rechnerisch CO2-neutral, was unsere weiteren Anstrengungen aber nicht mindern wird. Das reicht uns aber noch nicht, denn Klimaneutralität allein ist aus unserer Sicht die falsche Incentivierung seitens der Politik, wir müssen holistisch handeln und uns alle Systemgrenzen anschauen da wir auf einem Planeten mit limitierten Ressourcen leben. Solange die Industrie sich freikaufen und mit „Wir sind klimaneutral“ werben kann, statt CO2 zu reduzieren, ändert sich nichts.
Sie sprechen vom Greenwashing?
Das ist ein riesiges Problem, dass mit CO2-Zertifikaten die dringend nötige Reduktion immer wieder nach hinten verschoben wird. Wir dürfen das nicht allein auf die Konsumenten abwälzen, der größte Hebel liegt bei der Industrie, die durch die Politik noch nicht richtig incentiviert wird.
Wir hoffen, dass wir durch unsere Transparenz auch andere Unternehmen dazu bewegen können, transparenter zu werden und ehrlicher zu kommunizieren. Und auch wir arbeiten an den nächsten Schritten. Wir wollen, dass unser positiver Impact messbar wird, und dass andere uns ebenfalls messen können. Für uns heißt klimaneutral, Verantwortung zu übernehmen, für das, was ich heute noch nicht vermeiden kann. Das Ziel ist und bleibt jedoch die Reduktion von CO2. Nur dann können wir die international festgelegten Sustainable Development Goals innerhalb der planetaren Grenzen erreichen.
Danke lieber
Maximilian Lössl